Sächsische Maschinenfabrik AG
Richard Hartmanns Erbe – Blütezeit und Niedergang
Nach der Gründung der Aktiengesellschaft, der Sächsischen Maschinenbau AG Chemnitz, trat Richard Hartmanns zweiter Sohn Gustav als Direktor 1870 an die Spitze des Werkes.
1880 schied er als Direktor aus und übernahm ab 1. Januar 1881 den Vorsitz des Aufsichtsrates, den er bis zu seinem Tod ausübte.
Nach dem deutsch-französischen Krieg stieg das Auftagsvolumen derart, das 1872/73 wieder die Produktionsanlagen, die Gießerei, die Kesselschmiede und die Lehmformerei, erweitert werden mussten.
Wenige Jahre später war zwar bei Werkzeugmaschinen, Selfaktoren und Webstühlen noch ein leichter Anstieg zu verzeichnen, jedoch mußten in der Lokomotivproduktion so große Verluste verzeichnet werden, das Ende 1875 erstmals in der Geschichte des Unternehmens Arbeiter entlassen wurden. 1884 begann man mit dem Bau von Maschinen für die Zuckerherstellung und Webstühlen für die Seidenweberei. Neue Arbeitskräfte wurden eingestellt, so das 1883/84 fast 3000 Beschäftigte tätig waren.
Auf der Suche nach neuen Absatzmärkten reiste Gustav Hartmann 1883 in den fernen Osten und nach Südamerika.
Durch seinen Aufenthalt in Russland erkannte er den großen Bedarf an Lokomotiven und so wurde, nach Überwindung bürokratischer Hürden, am 3. Mai 1896 die Russische Maschinenfabrik Hartmann in Lugansk gegründet. Die erforderlichen Ausrüstungen lieferten zum großen Teil die Sächsische Maschinenfabrik AG und die Lauchhammer AG.
Nach einer Abnahmegarantie der russischen Regierung über 240 Lokomotiven und Bau der notwendigen Anlagen konnte am 28. Mai 1900 die erste Lokomotive übergeben werden. Bis zum 20. Oktober 1904 wurden 600 Lokomotiven gefertigt.
Im Jahr 1889 wurde in Chemnitz die Herstellung von Kältemaschinen aufgenommen, wobei der Schwerpunkt der Produktion in der Herstellung von Textilmaschinen lag.
Ende des 19. Jahrhunderts nahm der Bedarf an Lokomotiven wieder zu. Am 10. August 1894 wurde die 2000. und bereits zwölf Jahre später, am 1. März 1906, die 3000. Lokomotive fertiggestellt.
Eine Erweiterung der Fabrik war auf Grund der zunehmenden Bebauung nicht mehr möglich. So wurde die neue Gießerei 1896/97 an der Limbacher Straße im Stadtteil Altendorf errichtet, die als die größte Gießerei in Mitteldeutschland galt.
Zu den wenigen noch erhaltenen Gebäuden gehört auch das in der gleichen Zeit errichtete Verwaltungsgebäude, in dem heute die Polizeidirektion Chemnitz-Erzgebirge ihren Sitz hat.
Bereits Richard Hartmann beschäftigte sich um 1860 mit den sozialen Belangen seiner Angestellten, besonders der Schaffung von Wohnraum.
Eduard Keller, Schwiegersohn Richard Hartmanns und zu dieser Zeit Direktor der SMF, gründete 1884 die „Stiftung Heim“. Ein Gelände von
51 200 m² an der Beyerstraße wurde gekauft, der Stiftung übereignet und mit dem Bau von Wohnhäusern begonnen.
Bis 1911 wurden 47 Wohnhüser mit 121 Wohnungen erbaut. Die Siedlung steht heute unter Denkmalschutz und ist fester Bestandteil des Stadtbildes.
In der Generalversammlung am 18. November 1899 beschlossen die Aktionäre, den Namen Hartmann wieder in die Firmierung aufzunehmen. Die Gesellschaft nannt sich von nun an: Sächsische Maschinenfabrik vorm. Rich. Hartmann AG, Chemnitz.
Um der stetig wachsenden Produktion nachzukommen übernahm am 1. April 1911 die Sächsische Maschinenfabrik von der Hannoverschen Maschinenbau-Actien-Gesellschaft vormals Georg Egestorff die ehemalige Wiedsche Fabrik an der Dresdner Straße als Zweigwerk I. Hier wurden Spinnerei-Vorbereitungsmaschinen und Krempeln gebaut.
Am 24. Juni 1912 beging das Unternehmen mit einem „großen Festaktus“ ihr 75jähriges Bestehen.
Im Stammwerk mit einer Gesamtfläche von 126.000 m² standen 116 verschiedene Gebäude und Werkstätten. Die in Altendorf gelegene Gießerei war mit 125.000 m² eine der größten in Deutschland. Dazu kam noch das Zweigwerk I mit 30.000 m².
Zur Energieerzeugung waren im werkseigenen Kraftwerk Dampfmaschinen und Dampfturbinen mit einer Gesamtleistung von 6000 PS installiert.
500 Beamte und 5000 Arbeiter waren im Unternehmen beschäftigt.
Für den Vertrieb der Produkte unterhielt die Sächsische Maschinenfabrik 59 Vertretungen in den wichtigsten Industriezentren, 31 in Deutschland, 28 im Ausland.
Bereits Richard Hartmann stellte nach dem Schadenfeuer vom 17. Juli 1860, bei dem große Teile des Werkes zerstört wurden, eine freiwillige Fabrikfeuerwehr auf, mit nun fast 100 Feuerwehrleuten und umfangreicher Ausstattung, die auch außerhalb des Unternehmens zum Einsatz kam.
Mit Beginn des Ersten Weltkrieges kamen die Lokomotivlieferungen ins Ausland zum Erliegen, da viele Abnehmer zu den Kriegsgegnern Deutschlands zählten. 2000 Arbeiter sind bis 1915 zum Heer eingezogen worden.
Bereits 1848 hatte die damalige Maschinenfabrik Richard Hartmann einen Auftrag zur Herstellung von 20.000 Zündnadelgewehren erhalten. Durch die gute technische Ausstattung sowie freie Produktions-
kapazitäten war das Unternehmen ein bevorzugter Partner für die Vergabe von Rüstungsaufträgen. So wurden neben Granaten, Minen, Minenwerfern und Kanonenrohren auch Feldküchen, Plan- und Munitionswagen sowie 82 Straßendampfmaschinen als Zugmittel für die Artillerie gefertigt. Für die Heeresfeldbahnen wurden 49 Lokomotiven mit 600 mm Spurweite gefertigt.
Trotz Rüstungsproduktion wurde die Entwicklung der Produktion ständig fortgesetzt. 1915 begann der Bau von Rohrleitungs- und Kokereimaschinen.
1917 wurde durch Fusion die Oscar Schimmel AG an der Altchemnitzer Straße als Zweigwerk II übernommen.
Am 9. März 1918 wurde die 4000. Lokomotive an die Königlich-Sächsische Staatseisenbahn übergeben. Als XXHV, später als Baureihe 19 bezeichnet, war sie die damals leistungsfähigste Schnellzugdampflok Europas und die einzige vierfach gekuppelte Vierzylinder-Verbund-Dampflok, die je in Deutschland gebaut wurde. Mit der Bezeichnung „Sachsenstolz“ stellt sie den krönenden Abschluß sächsischer Lokomotivbaukunst dar.
Durch das umfangreiche Sortiment der Sächsischen Maschinenfabrik, vorm. Rich. Hartmann AG sowie steigender Nachfrage, besonders im Textilmaschinenbereich, war die Auftragslage nach Kriegsende so gut, das die vorhandenen Werstätten nicht mehr ausreichten.
So mietete die SMF 1920 die Artilleriewerkstätten der ehemaligen sächsischen Rüstungswerke, dem Dresdner Arsenal und erweiterte die Produkionskapazitäten 1921 durch Fusion mit der Walter Löbel AG.
Im gleichen Jahr erfolgt noch die Fusion mit der König-Friedrich-Augusthütte in Freital-Potschappel. Die Zahl der Beschäftigten in allen Werken betrug nun 10 420.
Sichtbarer Ausdruck dieser Erfolge war 1922 die Erweiterung des Verwaltungsgebäudes an der Chemnitzer Hartmannstraße. Das bestehende Gebäude wurde um einen Flügel erweitert, das Eingangsportal in die Mitte der Front verlegt und mit zwei überlebensgroßen Statuenpaaren – Schmiede und Gießer – versehen.
Aufgrund der weltwirtschaftlichen Situation in den Jahren 1923/24 verschlechterte sich die Auftragslage zunehmend. Durch die Gründung der Deutschen-Reichsbahn-Gesellschaft lagen die Prioritäten des Lokomotivbaues in Preußen. Dies zeigte besonders die Auftragsvergabe durch den Lokomotivausschuss, bei der die SMF nur mit minimalen Stückzahlen bedacht wurde. Damit verlor die Sächsische Maschinenfabrik ihren wichigsten Auftraggeber.
1926 wurde der Werzeugmaschinenbau aufgegeben, die gemieteten Flächen im Dresdner Arsenal gekündigt und der Textilmaschinenbau nach Chemnitz zurückverlegt. 2800 Arbeiter beschäftigte die SMF 1928 nur noch.
Zur Erhöhung des Aktienkapitals wurden die letzten Lokomotivaufträge an die Berliner Maschinenbau AG, vorm. L. Schwartzkopff verkauft.
Mit einer unspektakulären kleinen zweiachsigen Diesellok endete 1929 die Lokomotivproduktion in der Firma, die ihrem Gründer und seinem Namen einst mit genau diesen Lokomotiven weltweiten Ruhm einbrachte. Zwischen 1848 und 1929 sind in der von Richard Hartmann gegründeten Fabrik 4611 Lokomotiven hergestellt worden.
Am 8. April 1930 schlug der Vorstand der Sächsischen Maschinenfabrik vorm. Rich. Hartmann AG der Generalversammlung die Liquidation des Unternehmens, mit der Option der Erhaltung des Textilmaschinenbaus, vor.
Genau 100 Jahre nach Richard Hartmanns Eintreffen in Chemnitz begann 1932 der Abbruch der Fabrikanlagen. Das Verwaltungsgebäude wurde vom Staat erworben und der Polizei übergeben, die dort das Polizeipräsidium einrichtete. Ein Großteil der Flächen dient der Erweiterung der Schloßteichanlagen, wo auch die Schillingschen Figuren ihren Platz fanden. Das Gelände des Zweigwerkes I wurde getrennt verkauft, in einem Teil richtete die Daimler-Benz AG eine Reparaturwerkstatt ein, aus der später der VEB Elan hervorging.
Ein letztes Teilstück der Halle des Werkzeugmaschinenbaus an der Fabrikstraße ist bis heute erhalten geblieben – mit ungewisser Zukunft.
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